Woche 2 - Einlassen

13. Tag - Fronleichnam -  Donnerstag, 31.Mai.2018

Abstieg

Sie hat nicht übertrieben. Das stellen wir fest, als wir uns heute Morgen um 7:30 Uhr im Wohnzimmer von Familie Imhof zum Z’mörgele versammeln. Dort ist nämlich so ziemlich alles aufgetischt, was das Pilgerherz begehrt – angefangen von Eiern von glücklichen Epfendorfer Hühnern über mehrere Sorten Brot, köstliche Brötchen, selbstgekochter Marmelade bis hin zu Quark, Joghurt und 8 Sorten Müsli. Ein Frühstück mit Wow-Effekt, und wahrscheinlich hätten die aufgetischten Kalorien ausgereicht, um uns auf unserem ganzen weiteren Pilgerweg bis Arenberg durchzufüttern. Ja, der Abschied aus diesem Paradies in Sachen Gastfreundschaft fällt uns sichtlich schwer, und leider ist es heute auch nicht der einzige: Wir verabschieden Susanna, und von Heike, die seit vergangenen Donnerstag mit uns gepilgert war, mussten wir bereits gestern Abend Abschied nehmen. Wir freuen uns, dass Frau Imhof wenigstens noch bei unserer Anfangsrunde in einer kleinen Epfendorfer Kapelle dabei ist. Als sie dann die ersten paar Hundert Meter mit uns geht, nehmen wir sie spontan als 31. Mitpilgerin in unsere Pilger-Liste auf – diesen Ehrentitel hat sie sich redlich verdient.

Die katholische Kirche feiert heute Fronleichnam – das Hochfest des Leibes und Blutes Christi. Auch wenn wir heute leider nicht die Möglichkeit haben, an einer Fronleichnamsprozession teilzunehmen, prägt das Fest unseren Pilgertag. Als Anliegen nehmen wir heute das Gebet um die Einheit der Kirche mit auf den Weg – wir beten auch um eine Annäherung der Konfessionen in der Abendmahlsfrage. Sr. M. Ursula betet besonders für Christina Brudereck und die Gemeinschaft Kirubai in Essen, der wir uns sehr verbunden fühlen. Inge will heute die Sehnsucht nach Frieden in unserer zerstrittenen Welt mit ins Gebet nehmen und Daniel betet für die vielen Menschen, die unter mangelndem Selbstwertgefühl leiden, denen es schwer fällt, ihre Talente und Charismen zu entfalten. Und Walburga nimmt heute ihre eigenen Anliegen mit ins Gebet, dass sie die Kraft bekommt, vor dem Kreuz nicht davon zu laufen, sondern zu tragen, was zu tragen ist. Und so nehmen wir die verschiedenen Anliegen wie jeden Tag mit hinein in unser Pilgergebet und machen uns – wieder einmal bei strahlendem Sonnenschein – auf den Weg.

Nachdem wir einen guten Ort gefunden haben, gibt Daniel uns einen ersten Impuls in den Tag. Er betrachtet mit uns die Geschichte des Mose, wie sie uns im Buch Exodus (Ex 4, 10ff.) überliefert ist. Dieser Mose, der „eigentlich“ gar nicht reden kann, wird von Gott dazu berufen, zum Pharao zu gehen und ihn davon zu überzeugen, dass er das Volk Israel aus Ägypten ziehen lässt. Kein Wunder, dass Mose vor diesem Auftrag zurück schreckt, aber Gott ermutigt ihn: „Geh also! Ich bin mit deinem Mund und weise dich an, was du reden sollst.“ Nach langem Ringen willigt Mose endlich in seinen Auftrag ein und folgt seiner Berufung. Daniel vergleicht die Berufungsgeschichte des Mose mit der Geschichte so vieler Menschen, die sich ihrer eigenen Größe aus welchen Gründen auch immer nicht bewusst sind. So oft scheint es, als seien andere viel besser geeignet, diesen oder jenen Auftrag in der Welt zu erfüllen, doch dieses Denken hindert uns daran, unsere Charismen zu leben und fruchtbar zu machen.

Nach einem wunderbaren Weg durch kühle Wälder und über luftige Höhen (ja, auch den Thyssen-Krupp-Testturm können wir in weiter Ferne nochmals ausmachen) gelangen wir schließlich kurz vor der Mittagspause ins kleine Dörfchen Waldmössingen. Hier freuen wir uns an einem Fronleichnams-Altar, der auch von uns hätte gestaltet sein können: „Gott geht alle Wege mit“ – eine Wirklichkeit, die wir in den letzten Tagen besonders intensiv erfahren haben. Mehr noch als für den Hauptaltar kann sich Martin allerdings für einen kleinen Nebenaltar begeistern – er ist offensichtlich von Kinderhand gestaltet und weckt die Vorfreude auf bevorstehende Großereignisse.

Kurz bevor wir Waldmössingen wieder verlassen und uns wieder aufs offene Feld begeben wollen, wird uns plötzlich allen etwas unwohl. Dies liegt an einer Gewitterzelle, die sich binnen Minuten vor unseren Augen aufgetürmt hat, und wir ahnen, dass wir es wohl nicht mehr gefahrlos bis zu unserem geplanten Mittagspausen-Rastplatz schaffen werden. So sind wir froh, dass wir Sr. M. Johanna erreichen, die uns mit dem Auto zum angepeilten Flugplatz Winzeln bringt. Und tatsächlich fängt es bereits kurze Zeit später an zu blitzen, zu donnern und aus Kübeln zu schütten – die Entscheidung war mehr als vernünftig. Die unfreiwillig lange Mittagspause in einem Ausflugslokal wird auf ganz unterschiedliche Weise genutzt, wie man auf dem Bild erkennen kann:

Entgegen unserer Befürchtungen können wir dann am Nachmittag doch noch einmal gefahrlos zur zweiten Etappe des heutigen Tages aufbrechen. Bei strahlendem Sonnenschein nähern wir uns dem Schwarzwald, was man schon an der Vegetation erkennen kann. Wir genießen das kühle Lüftchen und den fast wolkenlosen Himmel und sind hoch entzückt, für einen weiteren Impuls von Daniel ein besonders nettes Plätzchen ausfindig zu machen. Auf dem bequemen Waldsofa gönnen wir unseren müden Füßen eine Pause und sind ganz aufmerksam für das, was Daniel uns mitgeben will: Er spricht vom Abstieg. In den letzten Tagen haben wir es oft erfahren, dass es zunächst einen Abstieg in die Tiefe braucht, um mich zu neuen Höhen aufschwingen zu können. So wie Mose zunächst einmal in seine eigene Tiefe hinabsteigen muss, um seinen Auftrag von Gott verstehen zu lernen. Oder wie Jesus durch alle Entäußerung hindurch verherrlicht worden ist. Ohne diesen „Tiefgang“, ohne diesen Abstieg in die eigene Wirklichkeit bleibt unser Leben oberflächlich. Daniel lädt uns ein, auf der nächsten Wegstrecke darüber nachzudenken, wo uns selbst momentan eine solche Erfahrung zugemutet wird, die vielleicht schwer ist, uns tiefer in Berührung mit unserer Wahrheit bringt. Ohne dieses ernste Thema ins Lächerliche ziehen zu wollen: Heute Abend müssen wir herzlich lachen über den Schnappschuss, den Martin am Ende des Impulses von Ursula und Walburga macht: Während die Eine noch in den tiefsten Tiefen weilt, ist die andere schon ganz oben!

Auf der letzten Wegstrecke des heutigen Tages steigen wir ganz konkret hinab ins Kinzigtal und gelangen – gefühlt viel zu schnell – nach Alpirsbach, dem Ziel unserer 12. Etappe. Als wir uns am Abend nach 20 km Wanderung ein frisch gezapftes Gläschen Alpirsbacher Klosterbräu gönnen, erreicht uns eine Nachricht von Heike: Sie hat nämlich den heutigen Nachmittag noch in Rottweil gebracht und war – der aufmerksame Blog-Leser wird es bereits ahnen – auf dem Thyssen-Krupp-Testturm. Sensationelle Aussicht und extrem leckerer Kuchen dort oben schreibt sie und schickt uns entsprechende Bilder. „Wir könnten doch vielleicht am Samstag… so zum Abschluss… wenn wir sowieso in der Pampa sind, wo man nirgends ein Café findet….“ beginnt Martin – wird jedoch direkt von Ursula zurückgepfiffen: „Am Samstag werden wir 65 km vom Thyssen-Krupp-Testturm entfernt sein, und 130 km Fahrt für ein Stückchen Kuchen und die Aussicht, das geht nun wirklich nicht.“ Sieht so aus, als müsste dieser Pilgerweg wiederholt werden, und der Gedanke daran treibt uns ein breites Lächeln ins Gesicht.

Morgen machen wir uns auf den Weg mit der Zusage Jesu: Ihr seid das Salz der Erde! (Mk 5,13)

Ach bitte Herr, ich bin keiner der gut reden kann

Exodus 40,10