Woche 2 - Einlassen

14. Tag - Freitag, 01.06.2018

Aufstieg

Viel geschlafen haben wir alle nicht in dieser Nacht. Dies lag allerdings nicht daran, dass die Betten irgendwie unbequem oder wir nicht müde genug gewesen wären, sondern vielmehr daran, dass direkt vor unseren Fenstern im romantischen Alpirsbach die Welt unterging. Gefühlt zumindest. Und es ist schwer abzuschätzen, wie oft wir wohl zwischen 23 Uhr und 1 Uhr Dankgebete zum Himmel geschickt haben, dass wir auf unserem Pilgerweg bislang vor derartigen Unwettern verschont geblieben sind. Blitze, die die Nacht zum Tag machten, Hagel und Starkregen, Sturm und Donner – die entfesselten Naturgewalten waren gleichermaßen faszinierend wie furchteinflößend, umso mehr waren wir froh, als es dann spät nach Mitternacht endlich etwas ruhiger wurde.

Wie gewohnt finden wir uns dann heute Morgen an dem verabredeten Treffpunkt ein und sind hocherfreut, wieder zwei neue Pilger in unserer Mitte begrüßen zu dürfen: Ruth und Sepp aus Rickenbach warten bereits auf uns am Alpirsbacher Bahnhof und werden sich in den kommenden Tagen mit uns auf den Weg machen. Natürlich werden auch sie direkt „angebunden“ an die heilende Liebe und bekommen von Sr. M. Johanna ein Pilgerarmband.

Noch am Bahnhof beginnen wir mit unserer Einstiegsrunde und sammeln Anliegen für den heutigen Tag: Wir beten für Menschen, die mit schweren Depressionen zu kämpfen haben – konkret zwei Frauen aus der Schweiz, wir beten für Menschen, die an Krebs leiden, wir beten für Eltern, die ein Kind verloren haben und wir beten für alle junge Menschen, die nach ihrer Berufung fragen. Sr. M. Johanna betet heute an ihrem Eintrittstag besonders für ihre Familie, für die ihre Entscheidung nicht leicht war, die sie aber am doch mitgetragen hat. Wir schließen heute auch zwei Menschen in unser Gebet ein, die in ihrem Leben wichtige Entscheidungen zu treffen haben.

In der Alpirsbacher Pfarrkirche gibt Sr. M. Ursula einen ersten Impuls in den heutigen Tag: Wir betrachten die Zusage Mt 5, 13-14 „Ihr seid das Salz der Erde, Ihr seid das Licht der Welt.“ Wohlgemerkt, Jesus sagt nicht zu seinen Jüngern: Wenn Ihr immer besser werdet, dann könnt ihr irgendwann einmal Salz der Erde und Licht der Welt werden, sondern: Ihr seid Salz der Erde, Ihr seid Licht der Welt. Sr. M. Ursula erzählt von einer Gemeindereferentin, die ihr in einem Bibelgespräch einmal wütend entgegen warf: „Was, bitte schön, soll ich denn noch alles sein?“ Auf den ersten Blick eine etwas verrückte Reaktion, die aber eine Wirklichkeit deutlich macht: In der Fülle unserer Aufgaben, in der Betriebsamkeit des Alltags denken wir meist viel zu viel darüber nach, was wir sein sollen, statt uns auch immer wieder bewusst zu machen, wer wir von Gott her sind. Sie lädt uns ein, uns auf der kommenden Wegstrecke, die uns steil nach oben führen wird, uns einmal ganz bewusst zu unserer wahren Größe, unserer wahren, von Gott geschenkten Würde aufzuschwingen.

Der erste Aufstieg auf dem Weg nach Freudenstadt ist steil und lang, aber seltsamerweise schaffen wir ihn alle fast mühelos. Es ist beeindruckend, zu erleben, wie unsere Gruppe in den letzten Tagen zusammen gewachsen ist, wie wir aufeinander achten und sogar ein gemeinsames Tempo finden. Auch Inge ist erstaunt über sich selbst, da sie sich sonst mit den Aufstiegen eher schwer tut (klar, mit 80 ist man eben nicht mehr ganz so fit – über solche Äußerungen müssen wir bei ihr immer etwas schmunzeln…); offensichtlich ist ihr die Herausforderung noch nicht groß genug, denn sie denkt darüber nach, ihrem Mann ein großes Stück Holz aus dem Schwarzwald mitzubringen, da er den Geruch so sehr lieb. Mit Mühe kann Martin sie überreden, doch lieber als Zeichen einen kleinen Holzscheit mit auf den Weg zu nehmen, damit sie nicht so viel tragen muss.

In der Mittagszeit haben wir den Kontakt zu Sr. M. Johanna verloren, denn auf den idyllischen Höhen des Schwarzwalds, die wir zwischenzeitlich erreicht haben, gibt es kein Internet, selbst telefonieren ist unmöglich. Wir befürchten schon, auf unser „Versorgungsfahrzeug“ inkl. Schwester verzichten zu müssen, zumal wir ausgerechnet heute keinen festen Treffpunkt vereinbart hatten. Als wir um 12 Uhr einen wunderbaren Hofladen nebst Rastplatz in Schömburg erreichen, können wir uns nicht mehr losreißen, und beschließen, auch ohne weitere Absprachen dort unsere Mittagspause zu verbringen. Sr. M. Ursula und Inge schauen, ob es in dem kleinen Demeter-Laden etwas Gutes zu kaufen gibt und fragen scherzhaft die junge Frau an der Kasse, ob sie auch Bio-Bananen aus einheimischem Anbau hätte. Die Frau lacht und sagt, dass sie diesen Witz heute schon einmal gehört hat, und wir wissen nun: Sr. M. Johanna was here!! Und tatsächlich, es sei eine Schwester gewesen, die einige Bananen bei ihr gekauft hätte… Wenig später trudelt dann auch – ohne weiteren Funkkontakt – besagte Schwester mit ihrem Transporter wieder in Schömberg ein, nachdem sie vergeblich nach einer besseren Alternative für unsere Mittagsrast gesucht hatte. „Ich habe mich gefühlt wie Gretel ohne Hänsel“, sagt sie, die sich auf der Suche nach einer Hütte im Wald verlaufen hatte, und ist heil froh, dass sie wieder in unsere Mitte ist (wir natürlich genauso!!).

Mit einem weiteren Impuls von Sr. M. Ursula starten wir in den Nachmittag, der zum Glück deutlich weniger kräftezehrend ist. Bevor wir unser Tagesziel Freudenstadt erreichen, kommt uns am Berg eine etwas seltsame Fahrradgruppe entgegen. Wir wundern uns über die schlecht ausgerüsteten Räder, mit denen es wohl schwer bzw. nicht möglich ist, die Höhenlagen des Schwarzwalds zu erklimmen. Martin versucht, einen besonders laut fluchenden Radfahrer zu beruhigen, und erfährt von ihm, dass er sich eigentlich auf dem Weg ins Kinzigtal wähnte, und die Gruppe wohl in die falsche Richtung abgebogen war. Tja, so kann es gehen im Leben, und wir sind einmal mehr dankbar für unseren großartigen Streckenführer Klaus, der uns bislang noch nie in die Irre gehen ließ.

Gegen 16 Uhr erreichen wir heute bereits unser Tagesziel und belohnen uns nach der Abschlussrunde erst einmal mit einem leckeren Eis auf dem schönen Freudenstädter Markplatz.

Morgen werden wir uns mit einem Vers aus Psalm 139 beschäftigen: Gott, du kennst mich, du bist vertraut mit all meinen Wegen… danke, dass du mich so wunderbar gestaltet hast…

Ihr seid das Salz der Erde!

Markus 5,13