Woche 2 - EINLASSEN

15. Tag - Samstag, 02.06.2018

Die vierte Saite beiseite legen ...

Am letzten Pilgertag dieser zweiten Woche, die unter dem Thema „Einlassen“ steht, freuen wir uns, abermals eine alte Bekannte in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Diesmal ist es Rita, die in der vergangenen Woche bereits einige Tage mitgepilgert ist und es nun einfach nicht lassen kann, sich nochmals für einen Tag der Gruppe anzuschließen.

Wir immer beginnen wir den Tag mit unserer Einstiegsrunde, in der wir unsere Gebetsanliegen zusammen tragen. Im Mutterhaus feiert heute Sr. M. Blandine ihren Namenstag. Da ihre Namenspatronin, die Hl. Blandine, eine Sklavin im 2. Jahrhundert war, schließen wir heute auch alle Menschen in unser Gebet ein, die auch heute noch in irgendeiner Weise versklavt werden oder Abhängigkeitsverhältnissen leben müssen. In Vorfreude auf das Wiedersehen mit seiner Frau möchte Martin heute auf dem Weg für einige bekannte Ehepaare beten – unter anderen für ein Künstlerehepaar, welches mit Musik und Tanz die Herzen der Menschen zu erreichen sucht, für die Ehen von Inge und Walburga, für die Tochter von Sepp und Ruth, die ebenfalls gerade geheiratet hat. Inge betet dafür, dass wir die Kraft bekommen, etwas gegen die Ungerechtigkeit in dieser Welt zu tun; Walburga betet, dass die Flüchtlinge in unserer Gesellschaft und in ihrem Heimatort mit offenem Herzen aufgenommen werden. Sepp will heute dafür beten, dass es „mit Kloster Rickenbach gut rauskommt“ und diesem wunderbaren Haus eine Zukunft geschenkt wird. Daniel betet heute für seine Tochter und die jungen Menschen, die die Welt bereisen, dass sie Erfahrungen sammeln dürfen, die für ihr Leben fruchtbar werden. Rita will für die beiden hochbetagten Menschen beten, die in ihrer Nachbarschaft leben und auf Hilfe angewiesen sind, und Sr. M. Ursula betet für ihre Mitschwestern, die uns in dieser Woche so intensiv im Gebet verbunden waren. Sr. M. Johanna wird heute in der Nähe eine schwer kranke Freundin besuchen, sie wird heute besonders für sie und alle chronisch kranken Menschen beten. Wir schließen ab mit unserem Pilgergebet und machen uns auf den 18 km langen Weg in Richtung Pfalzgrafenweiler, dem Zielort unserer 2. Pilgerwoche.

Nachdem wir ein schönes Plätzchen gefunden haben, gibt Daniel uns einen ersten Impuls in den Tag. Er beginnt mit einer Geschichte von Lorenz Marti, die mit „Saitensprung“ überschrieben ist. Marti beschreibt darin, wie dem großen israelischen Geiger Itzhak Perlman bei einem Konzert in New York nach den ersten Akkorden eine Saite seiner Geige riss. Perlman wartete einen Augenblick, ging in sich und bat dann den Dirigenten, nochmals zu beginnen. Er hatte sich dazu entschlossen, das Konzert auf den verbleibenden drei Saiten seiner Geige zu spielen, und er spielte mit einer solchen Perfektion und Hingabe, dass es bis heute als eines seiner besten Konzerte gilt. „Er erfand das ganze Stück neu, veränderte es und entlockte seinem Instrument Töne, wie er sie noch nie gespielt hatte. „Wissen Sie“, meinte er am Schluss, „manchmal ist es die Aufgabe eines Künstlers herauszufinden, wie viel Musik man noch machen kann mit dem, was einem übrig geblieben ist.“, so schreibt Lorenz Marti in seinem Buch. Daniel gibt uns dieses Bild mit auf den ersten Abschnitt unseres heutigen Weges, den wir wie immer im Schweigen zurücklegen – verbunden mit einem Vers aus Psalm 139.

Etwas früher als sonst erreichen wir um die Mittagszeit Musenbach, wo wir es uns in der Nähe eines Feinkostladens mit Schwarzwälder Spezialitäten gemütlich machen. Wie immer hat die Vorsehung gut für uns gesorgt, und wir freuen uns, dass Sepp seinen leckeren Käse mit uns teilt.

Nachdem wir neue Kraft geschöpft haben, starten wir in die zweite Etappe des Tages, vor uns liegen noch ca. 11 km in atemberaubend schöner Landschaft. Gut gelaunt und fröhlich gehen wir leichten Schrittes voran und lassen wir uns einige Zeit später an einer kleinen Holzhütte nieder, wo Daniel uns mit einem Gedanken von Pierre Stutz zum Thema Gelassenheit nochmals einen kleinen Impuls gibt. Doch schon wenige Augenblicke später macht sich in unserer Runde tiefe Betroffenheit breit. Sr. M. Ursula liest die Gebetsanliegen, die uns heute über Mail erreicht haben: Eine Frau möchte, dass wir für ihr Enkelkind beten, welches in diesen Tagen geboren wird; Ulrike dankt uns, dass wir diesen Pilgerweg unter unsere Füße nehmen und durch den Blog so Vielen daran Anteil geben; eine Frau macht sich große Sorgen um ihre Tochter, die nicht ins Leben findet; eine Frau, die schon häufig Gast in Kloster Arenberg war und im Geiste mit uns pilgert, wartet etwas besorgt auf das Ergebnis einer Hautbiopsie und bittet uns, für die Patienten und Mitarbeiter der Plastischen Chirurgie zu beten; eine weitere Frau bittet um das Gelingen eines wichtigen Projektes. Besonders betroffen macht uns das Gebetsanliegen eines Mannes, der seine Frau pflegt, die bereits seit 18 Jahren unter ALS leidet und seit 14 Jahren pflegebedürftig ist. Er bringt nicht nur seine Sorge um diesen so geliebten Menschen zum Ausdruck, sondern ist inzwischen durch die hohen Pflegekosten in große finanzielle Not geraten. Das Vertrauen derer, die sich unseren Gebeten auf diese Weise anvertrauen, berührt uns zutiefst und die zum Ausdruck gebrachte Not geht uns ins Mark. In diesem Moment – so scheint es uns – erfahren wir die ganze Bandbreite menschlichen Lebens, wir sind gleichermaßen fasziniert von der Schönheit der Natur wie erschüttert über das abgrundtiefe Leid, welches manche Menschen zu tragen haben. Als wir schließlich im Schweigen weitergehen, haben wir das Gefühl, die ganze Schöpfung betet mit uns, denn am ehemals heiteren Himmel ist plötzlich eine große schwarze Wolke zu sehen, die lange Zeit nicht von unserer Seite weicht.

Am späten Nachmittag erreichen wir schließlich Pfalzgrafenweiler, das Ziel unserer heutigen Etappe und (vorläufige) Pilger-Endstation für Sr. M. Ursula, Rita und Daniel – Martin und Klaus werden zwar morgen auch nach Hause fahren, stoßen dann aber in der fünften Woche nochmals zum Kernteam dazu. Anders als an den anderen Tagen erleben wir daher die Abschlussrunde auch etwas wehmütiger als sonst, tief beeindruckt von den reichen Erfahrungen, die wir in der vergangenen Woche sammeln durften und definitiv infiziert vom heimtückischen Pilger-Virus, der bereits die letzte Gruppe erfasst hat.

Und morgen wird es nun wieder einen Ruhetag geben, passend zur Lesung aus dem Buch Deuteronomium: Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott geweiht. (Dtn 5,14)

Gott, du kennst mich, du bist vertraut mit all meinen Wegen ...

Psalm 139