Woche 5 - ANKOMMEN

34. Tag - Donnerstag, 21.06.2018

Dein Wille geschehe ...

Das ist Rekord: Als wir heute Morgen um 9 Uhr am verabredeten Treffpunkt in Balduinstein eintreffen, staunen wir nicht schlecht, dass unsere Pilgergruppe tatsächlich auf 19 Personen angewachsen ist - und wie wir hören, ist die 20. bereits „im Anflug“: In der Mittagspause wird auch Rita wieder zu uns stoßen, die – vom heimtückischen Pilger-Virus befallen – die Gelegenheit ergreift, mit uns die letzten Kilometer zum Arenberg zurückzulegen.
Nach einem fröhlichen „Hallo“ mit alten Bekannten und neuen Gesichtern starten wir in der Pfarrkirche St. Bartholomäus in Balduinstein mit unserer Anfangsrunde in den Tag. Wie immer hören wir voneinander die Anliegen, die wir betend mitnehmen möchten: Wir beten u.a. für die jungen Menschen, ihre Eltern und alle, die sie auf dem Weg ins Leben begleiten; wir beten für alle Menschen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt einsetzen; wir beten für einen schwer erkrankten Arbeitskollegen von Andrea; wir beten für unsere holländischen Freunde Dorothé und Paul-Jan, die sich sehr nach einer neuen Perspektive für ihr Leben sehnen; wir beten für die kleine Gemeinschaft der Dominikanerinnen von Mariadal in Nimwegen und wir beten für das Enkelkind von Rosa, welches voraussichtlich morgen das Licht der Welt erblicken wird.
Je größer die Gruppe, umso anspruchsvoller ist es auch, die verschiedenen Bedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen – das wird heute Morgen deutlich. Während ein Teil der Mitpilgernden sich schon sehr darauf freut, die „24-km-Challenge“ des Tages anzunehmen und die Lahnhöhen zu erklimmen, haben die anstrengenden letzten Etappen bei anderen dagegen zu deutlichen Ermüdungserscheinungen geführt.
So stößt die Entscheidung der Gesamtleitung, die steil aufsteigende erste Wegstrecke ausnahmsweise mit dem Auto zurückzulegen, auch nur auf geteilte Zustimmung – zumal die eigentlich relativ kurze Anfahrt ins nächste Dorf sich kurze Zeit später als große Herausforderung entpuppt: Es scheint verhext, denn wo auch immer wir in Richtung Bremberg abbiegen wollen, hindert uns ein „Durchfahrt verboten“-Schild an der Weiterfahrt.
Nach fast einer dreiviertel Stunde des Herumirrens weicht unsere Freude an der wunderschönen Landschaft und amüsanten Ortsnamen wie „Katzenelnbogen“ purer Verzweiflung und wir befürchten schon, dass Bremberg aus welchen Gründen auch immer komplett von der Außenwelt abgeschnitten ist.
Nach einer gefühlten Ewigkeit finden wir schließlich ganz unvermittelt das Schlupfloch zum Ziel: Über Gutenacker erreichen wir leicht gebeutelt endlich den neuen Ausgangspunkt unserer heutigen Tagesetappe. Wir sind so froh, endlich loslaufen zu können, dass wir den kurze Zeit später einsetzenden Regen einfach komplett ignorieren, so dass dieser bereits nach wenigen Minuten beleidigt sein Gastspiel einstellt.

In seinem ersten Impuls geht Martin heute auf das Tagesevangelium (Mt 6, 7-15) ein. „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden…“, sagt Jesus seinen Jüngern in der Bergpredigt und lehrt sie stattdessen das Vater unser.
Wie kein anderes Gebet zeugt es vom unerschütterlichen Vertrauen, von der innigen Beziehung, welche Jesus zu seinem himmlischen Vater hatte, und in die auch wir hineingenommen sind.
DEIN Wille geschehe… Martin zitiert einige Verse aus Aufzeichnungen von Mutter Cherubine. Gerne hätte sie einen ruhigen Lebensabend genossen, nachdem die Gemeinschaft der Schwestern es Anfang des 20. Jahrhunderts vorzog, eine andere Schwester zur Generalpriorin der Kongregation zu wählen. Doch beim nächsten Generalkapitel wurde ihr abermals die Leitung der Gemeinschaft übertragen, in einer Zeit, in der ihre Kräfte nachgelassen hatten und viele neue Konvente gegründet worden waren, deren Unterhalt und Begleitung eine immense Herausforderung darstellte.
Dennoch nahm Mutter Cherubine diese schwere Bürde auf sich, im Vertrauen darauf, dass es der Wille Gottes war, der an ihr in Erfüllung gehen sollte.
Und es wurde ihr nicht nur die notwendige Kraft geschenkt, sondern die kommenden Jahre waren für sie selbst und die ganze Gemeinschaft überaus segensreich.

Für die kommende Wegstrecke, die wir im Schweigen zurücklegen, darf jeder von uns in Martins „Lostüte“ greifen und sich für die persönliche Betrachtung einen Vater-unser-Vers ziehen.
Bevor wir am Mittag Kloster Arnstein, das erste Etappenziel des heutigen Tages erreichen, gilt es abermals einige Hürden zu überwinden: Auf der Straße waren es die Durchfahrt-verboten-Schilder, im Wald sind es immer wieder umgefallene Bäume, die herausfordern, neue Wege zu bahnen. Manche von uns sehen diese Hindernisse als Einladung, sehr ganzheitlich über das nachzudenken, was im Leben manchmal quer kommt und gleichzeitig unseren Weg so spannend und einmalig macht…

Im Kloster Arnstein angekommen, freuen wir uns sehr über die herzliche Aufnahme.
Statt Picknick im Freien dürfen wir uns heute im Refektorium an einem festlich gedeckten Tisch Platz nehmen, freuen uns über duftenden Kaffee, köstliche Kirschen uns Ritas Garten und allerlei andere Köstlichkeiten.
Nachdem wir neue Kräfte gesammelt haben, lädt Martin uns in der Pfarrkirche ein, das berüchtigte „Mittagstief“ mit einem Gebärdengebet zu überwinden: Wir beten mit dem Lied „Herr, füll mich neu, füll mich neu mit deinem Geiste, der mich belebt und zu dir mein Gott hin ziehet. Hier bin ich vor dir, leer sind meine Hände. Herr, füll mich ganz mit Dir.“
Wir teilen miteinander die Vater-unser-Verse, die wir auf unserem Weg am Vormittag meditiert haben und staunen darüber, wie gut sie zu unserer jeweiligen Lebenssituation passen.

In seinem Impuls für die weitere Wegstrecke lädt Martin uns ein, abermals das Thema Versöhnung in den Blick zu nehmen: „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Franz Jalics sagt, dass das Unversöhnte unseres Lebens in unserer Seele wie eine Staumauer ist, welche uns von jeglicher Lebendigkeit abschneidet. Umso wichtiger ist es, die Sehnsucht nach Versöhnung auch dann lebendig zu halten, wenn wir mutlos werden sind und unser Herz verhärtet scheint. Wir dürfen darauf vertrauen, dass die Liebe Gottes in uns genau da mächtig wird, wo wir uns zu schwach fühlen, einen solchen Weg zu beschreiten – dies bekräftigen auch die Zeugnisse unzähliger Menschen, die sich mit aller Kraft für Friede und Versöhnung einsetzen…

Auf gut begehbaren Wegen entlang der Lahn nähern wir uns am Nachmittag Nassau, dem Ziel unserer heutigen Tagesetappe. Bei strahlendem Sonnenschein werden wir ordentlich durchgepustet: „Da kommt mal frischer Wind in unsere alten Beziehungen“, sagt Martin fröhlich. Nach unserer Abschlussrunde darf Julian die Streckenführung übernehmen: Er führt uns zielgerichtet ins beste Eiscafé am Ort. Dass Sr. M. Ursula und Bernhard Grunau dort tatsächlich nach jahrelanger Fehde eine Gemeinsamkeit – die Leidenschaft für Spaghettieis – entdecken, bringt möglicherweise frischen Wind sogar in diese Beziehung – aber das weiß man noch nicht so genau ;-)

Und morgen? So Gott will, werden wir morgen gegen 16 Uhr über den Cherubine-Willimann-Weg Kloster Arenberg, das Ziel unserer fünfwöchigen Pilgerreise, erreichen. Bei aller Freude wird sicherlich auch etwas Wehmut mitschwingen, dass die segensreiche Zeit der Vorbereitung auf unser Jubiläumswochenende nun zu Ende geht. Was aber garantiert nicht zu Ende gehen wird, ist unsere Leidenschaft, die heilende Liebe Gottes in die Welt hinein zu tragen, wo auch immer wir gerade unterwegs sind.

Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden

Mt 6,7