Woche 1 - AUFBRECHEN

5. Tag - Mittwoch, 23.05.2018

Verlasse dein Land - Abschied von der Schweiz



Kräftige Hahnenschreie wecken uns heute früh, die Kühe rufen aus dem Stall. Wir sind ganz familiär untergekommen auf dem Bauernhof der Familie Rupp. Der Hahn ist Herr über 35 Hühner, deutlich mehr als in Kloster Arenberg. So kann jeder Pilger ein Frühstücksei bekommen, es gibt Milch und leckersten Schweizer Käse, darunter auch Pilgerkäse. Die Brote hat Frau Rupp am Vortag gebacken, aus eigenem Getreide. In der Küche hängt ein Tuch mit dem Spruch: „Fünf waren geladen, zehn sind gekommen - gieß’ Wasser zur Suppe, heiß’ alle willkommen“. Seit 16 Jahren beherbergt die Familie Rupp Pilger - aus voller Überzeugung: „Wir müssen nicht in die Welt, die Welt kommt zu uns.“


Am Frühstückstisch treffen wir eine junge Familie aus München, ein Ehepaar und den 9-jährigem Martin. Wir sind Ihnen schon am Vorabend im Gasthof begegnet. Martin hatte vom Nachbartisch gerufen „Das ist gut!“, als wir überlegten, ob die Tages-Überschrift „Pilger herzlich willkommen“ passt. Martin ist mit seinen neun Jahren pilgererfahrener als viele von uns, seine Eltern sind mit ihm schon im vierten Jahr in Etappen auf dem Jakobsweg unterwegs. Wie so vielen Pilgern, denen wir begegnen, müssen wir auch ihnen erklären, warum wir in die „falsche Richtung“ laufen, nach Norden. So erfahren immer mehr Menschen von der Schweizerin Cherubine Willimann, die vor 150 Jahren in Koblenz-Arenberg ein Kloster gründete. Koblenz oder Trier könnte vielleicht auch mal ein Pilgerziel für sie werden, meint die Familie aus München.

Unser Morgen-Pilgergebet sprechen wir heute am Bahnhof in Tobel, wo uns eine freudige Überraschung erwartet: Zwei Schweizer Mitpilger, von denen wir uns Montagabend auf dem Hörnli verabschiedet hatten, sind zurück: „Wir hatten Entzugserscheinungen“, berichten Peter und Judith. Sie werden uns heute bis an den Bodensee begleiten und wieder ganz oft das Pilgerkreuz tragen.


Heute nehmen wir in unseren Gebeten Anliegen mit, die Menschen den Arenbergern auf dem Katholikentag in Münster mitgegeben haben. Da ist zum Beispiel die Sorge einer Mutter um ihre Tochter, die in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen lebt: Die Tochter ist erfüllt von Misstrauen und aggressiv. Viele Eltern und Großeltern haben uns gebeten, auf dem Pilgerweg für ihre Kinder und Enkelkinder zu beten. Wir schließen auch die Kinder in Kriegsgebieten wie Syrien mit ein und die Rohingya-Füchtlinge. Wir beten für einen Mann, der in einer persönlichen Krise steckt und den Kontakt zum Kloster hält, eine Tochter, die um ihre Mutter trauert, und den kleinen Max (2 Jahre), Enkel einer Mitpilgerin der ersten Tage, der an einer seltenen und schweren Erkrankung leidet, so dass er nicht laufen kann. Außerdem beten wir für zwei Menschen mit einem ganz besonderen 60-jährigen Jubiläum: Der Bruder von Schwester M. Christa und seine Frau feiern heute Diamantene Hochzeit in Kloster Arenberg.

Nach der ersten Etappe geht es beim Impuls von Ursula Schwank aus Kloster Rickenbach heute weiter mit Abraham und seinem Aufbruch mit 75 Jahren. Er vertraute auf Gott, als der ihn aufforderte: Verlasse Dein Land und dein Vaterhaus. Abraham kannte aber auch Zweifel an der Segensverheißung, weil er keine Kinder hatte. „Sieh zum Himmel hinauf und zähl die Sterne, wenn du sie zählen kannst“, forderte der Herr ihn auf, heißt es in Gen. 15: „So zahlreich werden Deine Nachkommen sein.“ 300 Milliarden Sterne soll es allein in der Milchstraße geben... Auch wir werden heute erneut ermutigt, den Wegen zu vertrauen, auf die Gott uns führen will. Wir verlassen heute die Schweiz, die geliebte Heimat von Mutter M. Cherubine, die sie nach ihrem Aufbruch nach Arenberg nie wiedersehen sollte. Der Impuls schließt mit einem Wort von Hilde Domin: „Ich setzte meinen Fuß in die Luft und sie trug.“



Wir kehren ein in den kleinen Gasthof „Zur Biene“, geführt von einer 93-jährigen Frau, die vor 60 Jahren mit Albert Schweitzer in Afrika gearbeitet hat: „die beste Zeit meines Lebens“, sagt sie, weil sie dort etwas wirklich Sinnvolles tun konnte. Sie öffnet nur noch an wenigen Tagen, ihre Stammgäste sind für sie wie Familienangehörige. Die mutigsten Pilger bestellen hier heute Vormittag „Kaffee fertig“. Das ist heißer Kaffee mit Zucker und Obstbrand. Vielleicht soll es helfen, den Abschied von der Schweiz zu verschmerzen oder die müden und teilweise wunden Füße ein wenig zu vergessen. Am Dienstag sind wir mehrfach Bildnissen der Heiligen Idda begegnet, sie soll unter anderem Schwangeren helfen und Fußkranken. Glücklicherweise haben wir in diesen Tagen Ärztin Rosa unter uns, die abends hilft, schmerzende Knie oder wunde Füße liebevoll und fachkundig zu versorgen.

Weiter geht es durchs Thurgau, Richtung Konstanz. Vogelzwitschern kommt von allen Seiten. Am Rand der Getreidefelder blühen Kornblumen und Klatschmohn. Später im Wald ruft der Kuckuck, in der Ferne gurren Tauben. Am Waldrand duften die Holunderblüten, einige Minuten später abgelöst vom würzigen Aroma des Bärlauchs.

Einige Stunden später beim Nachmittagsimpuls beten wir dann einmal mehr mit dem ganzen Körper, diesmal auf einer Obstbaumwiese zwischen den Getreidefeldern: Wir strecken und beugen uns, schöpfen Kraft aus der Tiefe und tasten mit ausgestreckten Armen nach vorne, ins Unbekannte. Wohin wird der Weg uns noch führen?

Morgen jedenfalls geht es „... über die Steppe hinaus ...“ (Ex 3, 1b)

 

 

Sieh doch zum Himmel hinauf

Gen 15