Woche 1 - AUFBRECHEN

25.05.2018

 

Wechselnde Pfade, Schatten und Licht

Nach einem freudigen Tag klingt es erstmal nicht: „Kreuz und Leiden ist heute besonders wichtig“, sagt Martin Hofmeir, als wir an diesem Freitag bei strahlendem Sonnenschein unser Gasthaus am See verlassen und aufbrechen in einen Tag voller Begegnungen. „Wir nehmen Ihre Päckchen mit“, haben wir am Vortag auf einem Postauto gelesen. Auch wir nehmen wieder Päckchen mit auf unseren Pilgerweg „150 Jahre Heilende Liebe“ - die Gebetsanliegen.

Wir beten

- für Menschen mit seelischen Verletzungen, Menschen, die sich nicht versöhnen können oder an der Versöhnung arbeiten,

- für die Schwestern in der Gemeinschaft der Arenberger Dominikanerinnen, die belastet sind durch Unversöhntes oder unter Verletzungen leiden, zum Beispiel durch den Krieg, - für ein Paar, das sich um ihre Patentochter sorgt, die unter einer Blockade leidet.

- für Menschen, die die Angebote der Arenberger Einrichtungen nicht erreichen,

- für US-Präsident Donald Trump und den Weltfrieden.
Ursula Schwank berichtet, dass die Organisation, für die sie sechs Jahre lang in Afghanistan gearbeitet hat, immer wieder Menschen verliert.

- Wir beten darum, dass in Afghanistan Versöhnung und Frieden gelingen. All diese Bitten schließen wir in unser Pilgergebet ein.

„Wechselnde Pfade, Schatten und Licht. Alles ist Gnade. Fürchte Dich nicht“, mit diesem Lied gehen wir in den Tag. Wir begegnen Menschen, deren Wege und Pläne durchkreuzt werden, die Leid und Scheitern erleben. Beim Halt in einer Kirche hören wir den Erfahrungsbericht der evangelischen Theologin Christina Brudereck. Eindringlich schildert sie die Verzweiflung, wenn Lebenspläne wie Beruf, Ehe und Kinderwunsch scheitern. Wie unter Wasser fühlte sie sich, wusste nicht, ob sie kämpfen oder warten sollte. „Gott lockte mich ins Licht“, schreibt sie. Sie ging gestärkt aus diesen Erfahrungen hervor, es war ein fruchtbares Scheitern. Beim Gang aus der Kirche sehen wir Fotos der Kommunionkinder und den Satz: „Wir sind die Farben des Regenbogens“. Als wir in die Sonne hinaustreten, fährt gerade ein Beerdigungsfahrzeug vor: Schatten und Licht.

Für uns geht es aus dem Ort hinaus, hinauf durch Getreidefelder, vorbei an Heckenrosen - Honigduft liegt in der Luft. In der Ferne ist eine Kette von sieben Vulkanen zu sehen. Die ersten Felder sind schon abgeerntet. Grillen zirpen, über uns stehen schneeweiße Wolken am Himmel. Es ist heiß. Wir sehnen uns nach Schatten. Zur Mittagszeit leitet uns Klaus Winterhalter auf einen lohnenden Umweg: Vorbei an freilaufenden Gänsen, Enten und Hühnern gelangen wir an einen wunderbaren Ruheplatz am Wasser. Die grüne Fläche ist gesprenkelt mit Licht- und Schattenflächen.

Rita Winterhalter lädt uns ein zu einer Erfahrung mit dem Handauflegen, das in allen Kulturen verbreitet ist. Im Christentum hat es seine Ursprünge bei Jesus selbst, der Kranke durch Handauflegen geheilt hat und seine Jünger dazu aufgefordert hat, es auch zu tun. Rita betont, dass es nicht um magische Kräfte gehe, sondern darum, Gottes Kraft wirken zu lassen. Nach einer Phase der Konzentration auf unseren Körper, legen wir uns selbst die Hände auf. Obwohl ein Hahn immer wieder dazwischen kräht, können wir auftanken. Anschließend stärken wir uns mit den Resten der reichhaltigen Vorräte, die Ursula Schwank in der Schweiz eingekauft hatte: köstlicher Käse und zum Dessert auch noch beste Schweizer Schokolade: hell und dunkel.

Nach der Pause kehren wir vom Umweg am Wasser zurück auf unsere Route. Wir erfahren, dass ein Gast von Kloster Arenberg, der im Herbst wieder zum Männerkurs kommen wollte, gestorben ist und nehmen ihn mit in unser Gebet. Wir steigen wieder hinauf, die Asphaltstraße strahlt Hitze ab. Es dauert nicht lang und wir warten sehnsüchtig auf den nächsten Brunnen. Im nächsten Dorf können wir Wasser nachfüllen und kommen mit freundlichen Menschen ins Gespräch. Die Brunnenbesitzerin erklärt entschuldigend, dass ihre Hunde immer so bellen. Ein Mann freut sich, dass uns sein Haus so gut gefällt, weil seine Frau das anders sehe, erzählt er lächelnd.

Ein Mopedfahrer will wissen, ob wir auf einem Pilgerweg sind. Das gefällt ihm, denn er bedauert, dass es mit dem Glauben immer mehr zurückgehe. Walter, so stellt er sich vor, möchte Bernhard Grunau mit dem Pilgerkreuz unbedingt ein Stück den Berg hinauffahren. Oben angekommen, bietet er an, doch noch zu ihm nach Hause zu kommen, er möchte einen Kasten Sprudel und Bier anbieten. Martin Hofmeir lehnt dankend ab.

Er möchte mit uns heute Nachmittag noch einen Kaffee trinken, wo er uns später eine ganz besondere Kaffee-Geschichte über Mutter M. Cherubine erzählen wird, wie sie im Buch „Heilende Liebe“ von P. Hieronymus Wilms festgehalten ist: Eine der Schwestern, eine Oberin, die sich ihrem Dienst in einem schwierigen Kloster nicht mehr gewachsen sah, reiste 1914 zur Beerdigung der Ordensgründerin, fest entschlossen, die Nachfolgerin um ihre Versetzung zu bitten. Am Sarg von Mutter M. Cherubine wurde sie verwandelt: „Es war ihr, als ob sie zur guten Mutter in das kleine Stübchen getreten sei, um sich da mal auszuklagen. Und da schob Mutter Cherubine die Brille und sagte tröstend: ‚Ja, man muss so manches leiden; aber da wollen wir mal zusammen Kaffee trinken‘, und da war alles wieder gut.“ Die Schwester ging vom Grab direkt zum Bahnhof und fuhr zurück in das Kloster, das sie eigentlich verlassen wollte. Sie konnte alle Schwierigkeiten dort überwinden.

Drei von uns sind durch die Gespräche im Dorf noch weiter hinten, als wir aus dem Kofferraum eines schicken weißen amerikanischen Autos ein Männerbein baumeln sehen. Sieht lustig aus, denken wir noch, da springt auf einmal ein Mann heraus und läuft schnell auf Schwester M. Scholastika zu. „Ich habe Mist gebaut, großen Mist“, stammelt er, er habe fast seine Frau verloren. G. heiße er und habe richtig große Fehler gemacht. Er schüttelt uns allen die Hände, fragt nach Namen. Am Straßenrand sinkt er zu Boden, bittet verzweifelt um Hilfe. Ob die Schwester wohl für ihn ein Vaterunser beten könne? Wir drei beten mit ihm, er murmelt leise mit. Dann steht er auf, bedankt sich, umarmt uns. G. erzählt, dass er aus Frankfurt gekommen sei, um seinem zweijährigen Kind ein besseres Leben zu bieten, er wünsche sich seine Frau zurück, wisse, dass er selbst viel tun müsse. Schwester M. Scholastika segnet ihn mit einem Kreuzzeichen auf die Stirn, sagt, dass wir ihn im Herzen mitnehmen und für ihn beten. In der nächsten Kirche zünden wir ein Licht für ihn an.

Bei weitem nicht alles lässt sich berichten über diesen Tag. Beglückend sind wieder die Natur-Erfahrungen am Weg: neben den Enten, Gänsen und Hühnern, Eichhörnchen, Hasen, Schmetterlinge, ein Reh springt an uns vorbei, eine Blindschleiche schlängelt sich über den Weg, in Pfützen und Tümpeln sehen wir Libellen, Molche, Frösche und eine entzückende Blesshuhn-Familie mit sechs winzigen Küken.

Beim letzten Impuls vor dem Ziel geht es um die bewegende Geschichte der Jüdin Hanna Zack Miley, die in den USA lebt und einen ganz starken Bezug zu Jesus Christus hat. 1939 wurde das kleine Mädchen aus der Eifel von ihren Eltern in den Zug nach England gesetzt, weil das ihre einzige Chance war, die nationalsozialistische Verfolgung zu überleben. Eltern und Tanten wurden im Holocaust ermordet. Hanna Zack Miley ist einen langen Versöhnungsweg gegangen, an allen Stationen der Verfolgung ihrer Eltern hat sie Blumen niedergelegt. Sie schreibt, dass sie Jesus Christus mit ausgestreckten Armen am Kreuz gesehen habe, wie er ihr alles Leid und alle Last abgenommen habe. Am 8. Mai wurden in Koblenz sogenannte Stolpersteine zur Erinnerung an ihre drei ermordeten Tanten ins Pflaster eingelassen, organisiert von einem Gast von Kloster Arenberg.

Dieser Versöhnungsweg bewegt und berührt uns, wir brechen schweigend zur letzten Tagesetappe auf. Noch einmal führt der Weg bergauf, er verengt sich und leitet uns plötzlich ganz überraschend in einen Tunnel. Wir treten ins Dunkel, manche können hier den Schmerz von Hanna Zack Miley besonders gut nachempfinden. Doch blendend hell strahlt das Licht am anderen Ende des Tunnels. Der Blick ins Licht macht Mut: „Wechselnde Pfade, Schatten und Licht. Alles ist Gnade, fürchte Dich nicht.“

Morgen sind wir mit Lk 10, 1-20 unterwegs: vorausgesandt, wohin Er selbst gehen wollte....

 

 

Mit dem Lieben und Leiden