Woche 1 - AUFBRECHEN

Achter Tag, Samstag 26. Mai 2018

Unter den offenen Himmel vorausgesandt ...

Auch wenn die Sonne uns jeden Tag der vergangenen Woche ihre Treue schenkte, war es Abend für Abend gut, ankommen zu dürfen, eine offene Tür zu finden und ein Dach über dem Kopf zu bekommen. Vor Jahren gab es in der Schweiz einen Werbeslogan, der auf die Herberge von Freitag auf Samstag in Hattingen ganz und gar zutraf: „Holz ist heimelig.“ In einem im Innenraum mit Holz ausgestatteten Gasthof fühlten wir uns wunderbar aufgehoben und behütet. Nach einer erholsamen Nacht und einem reichhaltigen Frühstück hatte die Müdigkeit des Vorabends keine Chance mehr, den Aufbruch zu verhindern.

Heute Morgen dürfen wir Birgit begrüßen. Sie begleitet uns einen Tag und bringt auch ein Anliegen mit: ihr Schwager wird sich heute akut einer Herz-OP unterziehen müssen. Auch der Wirt unserer Unterkunft hat uns seine persönliche Bitte mitgegeben.
Nach dem Pilgergebet sammeln wir im Geiste wieder Menschen um uns, die wir im Gebet GOTT anvertrauen wollen: Über das Internet erreicht uns der Wunsch, für die verstorbene Regina zu beten. Sie öffnet uns für das Gebet für verstorbene Angehörige, Freunde, Nachbarn. Wir beten für die Sterbenden, um gute Ort für diese letzte Wegstrecke, für die so wesentliche Hospizarbeit. Und wir denken an alt gewordene Menschen, die sich ängstigen vor der eigenen Pflegebedürftigkeit. Wir formulieren die Bitte um zukunftsfähige Konzepte rund um das Thema Pflege und Begleitung, auch für Menschen mit Demenz. Wir bitten für all jene, die in Pflegeberufen arbeiten und auch für die betroffenen Angehörigen erkrankter bzw. alt gewordener Menschen. Und die intensiven Begegnungen von gestern sind präsent - wir wollen G. noch einmal auf besondere Weise mitnehmen.

Mutter M. Cherubine durfte die ewige Treue GOTTES erfahren, seine heilende Liebe, seine Barmherzigkeit. Die Vergegenwärtigung der Nähe GOTTES macht uns dankbar und wir singen beherzt: Laudate omnes gentes, bevor wir die erste Etappe unter die Füße nehmen.

Durch einen schmalen Waldpfad, begleitet durch den fröhlichen Gesang der Vögel, erreichen wir die Anhöhe, die dann bald noch einmal den Blick auf die Schweizer Alpen freigibt.

Was uns dann erwartet, ist eine kleine, 2003 erbaute Kapelle, die von weitem eher wie ein Bunker aus hellem Stein aussieht. Patrone dieser Kapelle sind die Heiligen Johannes und Jakobus. Ein Geschäftsmann hat sich diesen Gottesraum aus Dankbarkeit für ein erfolgreiches Berufsleben zu seinem runden Geburtstag bauen lassen. Ihre Schönheit erschließt sich erst dann, wenn man Zeit mitbringt, sich hinsetzt und die Perspektive aus dem großen Fenster in die Weite der Landschaft auf sich wirken lassen kann. Das außerhalb des Raumes aufgestellte Kreuz erinnert uns an ein Gipfelkreuz.

Hier erwartet uns Andreas H., der uns mit seinen Freunden liebevoll ein zweites Frühstück bereitet hat. Wir finden in ein angeregtes Gespräch. Gibt es Zufälle? Just als Andreas die Kapelle erreicht, ist die Frau da, die sich um die Blumen kümmert, d.h., wir haben einen Schlüssel, um das kleine Gotteshaus betreten zu können.

Ursula Schwank begleitet uns heute mit Impulsen. Das Evangelium von der Aussendung der Zwölf (Lukas 10,1-9) steht heute im Mittelpunkt, und Ursula nimmt uns mit in dieses Aussendungsgeschehen, was es für uns heißen mag, wenig mitzunehmen, als Gerufene aufzubrechen und in der „Aussendungsspur“ zu bleiben, um GOTT den Boden zu bereiten. Mit einem Text von Paul Roth lädt Ursula uns ein, das Wort GOTTES wie einen Schlüssel in der Tasche mitzunehmen, vorsichtig mit ihm umzugehen, es nicht zu erdrücken und zu melken, damit es Frömmigkeit freigibt, sondern still zu werden und es zu ertasten.

 

Ausgesandt… wir merken, welche Aufmerksamkeit unser Holzkreuz auf sich zieht. Gerade Kinder fragen oft danach. Auch heute. Und wir beobachten einen Jungen, der auf seine Weise sein Kreuz ehrt, indem er den Platz rund um ein Wegkreuz mäht. Wieder die Frage: Gibt es Zufälle? Der Junge bleibt mit seinem Gefährt stecken und bittet freundlich um Hilfe. Wir waren im richtigen Augenblick da, und Martin Hofmeir gibt dem Mäher einen kräftigen Stoß - über das Hindernis hinweg.

Nochmals zurück zur Kapelle: Kurz vor dem Abschied gibt Andreas uns eine Gabe mit, ein Vers aus dem Psalm 77: „Gott, Dein Weg ist heilig“! So spürten wir es auf der kommenden Wegstrecke hinab durch das Grießtal, an herrlichen Blumenfeldern vorbei. Wir gingen still, jede/jeder bei sich bis „vor die Tore“ von Tuttlingen. Und wir können die Worte aus dem Evangelium umformulieren: Die Stadt, in die wir heute gesandt werden, heißt Tuttlingen. Wir lassen uns dort im Park nieder.

Es war für uns alle eine buchstäblich unfassbar reiche Woche (Pilgern macht süchtig, meint Martin) und eine einzigartige Pilgergemeinschaft. Das Wort aus dem Zweiten Korintherbrief, das wir bereits in Rapperswil gehört hatten, kommt uns erneut nahe: „In allem werdet ihr reich genug sein, um selbstlos schenken zu können“ (2. Kor 9,11)

Und Rita Winterhalter, die uns heute Abend bereits verlässt, um die Pilgerschaft zu Hause weiter zu leben, bestimmt mit dem Lächeln und der Liebe, die wir von ihr erfahren durften, ergänzt den Vers aus dem Korintherbrief mit einem Wort von Dietrich Bonhoeffer: „Im normalen Leben wird einem oft gar nicht bewusst, dass der Mensch überhaupt unendlich mehr viel mehr empfängt, als er gibt, und dass Dankbarkeit das Leben erst reich macht.“

 

Morgen ist Ruhetag, Tag des HERRN: Das heißt für die, die bleiben (Martin Hofmeir, Kurt Winterhalter und Heike) und auf die neuen Pilger warten (Daniel Blättler aus Rickenbach, Sr. M. Ursula aus Arenberg und Sr. M. Johanna aus Oberhausen): gemütlich frühstücken, an der Heiligen Messe teilnehmen, (Strümpfe waschen), Schlaf nachholen, Füße hochlegen und die vergangene Woche nachklingen lassen…

(aus der Kapelle oberhalb von Hattingen) Tag des Herrn? Was bedeutet er für Dich?

 

 

vorausgesandt, wohin er selbst gehen wollte ...

Lk 10